Kai Romhardt über Entschleunigung in Alltag und Beruf (Rezension)

Kai Romhardt beschreibt in seinem Buch "Slow Down Your Life", wie wir sowohl bei der Arbeit als auch im Alltag entschleunigter unterwegs sein können. Er bringt dafür praktische Übungsbeispiele. Mir hat dieses Buch eine Weichenstellung in meinem Leben gebracht.

Dieser Artikel ist erstmals am 11. September 2012 erschienen, hier liest du die aktualisierte Fassung.

Es gibt Bücher, die verändern ein Leben. Für mich ist so ein Buch „Slow Down Your Life“ von Kai Romhardt. Ich wünschte es mir zu Weihnachten 2005 von meinen Eltern, sie schenkten es mir.

Damals arbeitete ich im Wissensmanagement eines internationalen Beratungsunternehmens in Wien. Kai Romhardt war mir als Autor eines viel zitierten Standardwerks im Wissensmanagement bekannt.

Mich hat beeindruckt, dass er mit 30 seine Karriere als hoch bezahlter Berater einer Unternehmensberatungsfirma aufgab und daraufhin einige Zeit im Kloster Plumvillage in Frankreich beim Meditationslehrer Thich Nhat Hanh verbrachte.

Er integrierte anschließend Achtsamkeitspraktiken in seine Arbeit als Trainer und Berater. Diese Erfahrung im Kloster nennt er auch als Ausgangspunkt für seine eigene Veränderung in Bezug auf Zeit und Geschwindigkeit.

Aufbau des Buches "Slow Down Your Life"

Im ersten Kapitel führt der Autor Kai Romhardt fünf Schlüssel ein, die unsere Zeiterfahrung radikal verändern können:

  1. Gegenwärtigkeit

  2. Unbeständigkeit

  3. Kein Anfang / kein Ende

  4. Enwicklung

  5. Rhythmik

Die Kapitel 2 bis 5 gehen näher auf den Zustand unseres Körpers, unseres Geistes, unserer Aktivitäten und unseres Umfelds ein.

Slow down statt Speed up - Entschleunigung statt Beschleunigung

Kai Romhardt schreibt in dem 2004 erschienenen Buch, dass das allgemeine Tempo angezogen hat:

„Immer mehr Menschen sind sehr schnell unterwegs. Und das hat Konsequenzen. Stress, innere Unruhe und Verspannungen sind zu Massenphänomenen geworden. Burnout und Tinnitus mit Mitte dreißig sind keine Einzelfälle mehr. Jeder kennt Menschen, die es aus der Kurve getragen hat.“ (S. 15)

Meine eigenen Beobachtungen, Gespräche, Coachings mit meinen Kundinnen sowie Lektüre lassen mich vermuten, dass sich die Situation seit Erscheinen des Buches verschärft hat. Gleichzeitig scheint aber auch das Bewusstsein zu steigen, dass es mit der Beschleunigung so nicht weitergeht und eine Veränderung notwendig ist.

Was bedeutet „Slowing down“?

Kai Romhardt beschreibt Slowing down als die Kunst des Anhaltens (S. 16).

  • Wir kommen zur Ruhe und können uns tief entspannen.

  • Slowing Down kann zu neuer Gelassenheit führen und dazu, sich tiefer mit dem eigenen Leben zu verbinden.

  • Es hilft, den eigenen Rhythmus zu finden.

  • Wie kann es unsere Arbeit verändern? Es hilft uns, konzentrierter zu sein und und klarer zu sehen: Wir haften nicht an unseren Ideen, Vorurteile lösen sich auf.

"Langsamkeit ist kein Wert an sich."

Nun könnte der Eindruck entstehen, dass Kai Romhardt die Langsamkeit zum Prinzip erhebt. Genau das aber tut er nicht – und das gefällt mir sehr.

Er schreibt: „Langsamkeit ist kein Wert an sich. Langsamkeit und Schnelligkeit sind wie Bruder und Schwester, sie ergänzen einander. Nur wenn wir die Langsamkeit verstehen und meistern, können wir schnell sein, ohne uns zu verlieren. Nur wenn wir die Schnelligkeit meistern, können wir langsam sein, ohne zu erstarren.“ (S. 142 f.)

Sowohl Langsamkeit und Schnelligkeit haben ihre Berechtigung.

Absolutes und relatives Tempo

Der Autor beschreibt, dass alles, was existiert, ein absolutes und ein relatives Tempo hat.

Absolutes Tempo meint, dass wir uns in einem bestimmten Geschwindigkeitsintervall bewegen. Es gibt natürliche Grenzen der Beschleunigung und Entschleunigung. Das Limit zu übersteigen, ist (lebens-)gefährlich.

Wir haben in unserer Gesellschaft heute einen Begriff von Leistung, der das obere Limit der Geschwindigkeit kontinuierlich zu verschieben sucht. Wir reizen unsere Grenzen aus, beispielsweise die unseres Körpers. Hier kann es sinnvoll, ja notwendig sein, die Geschwindigkeit zu reduzieren.

Das relative Tempo betrachtet die Geschwindigkeit unserer Aktivitäten im Verhältnis zu unserem Umfeld. Viele Menschen werden als „zu langsam“ abgewertet, weil sie im Vergleich mit anderen als langsam erscheinen.

„Als Menschen haben wir alle ein unterschiedliches absolutes Tempo und es schwankt in Abhängigkeit von Alter, Gesundheit, persönlichen Werten und anderen Faktoren. Jede Idealisierung eines Geschwindigkeitsmodus – sei es Langsamkeit oder Schnelligkeit – ist ein Diktat, das Angst auslöst. Auch die Idealisierung der Langsamkeit führt in die Irre.“ (S. 146)

Ein Übungsbuch für Entschleunigung und Gelassenheit

Kai Romhardt bietet sein Buch als persönlichen Begleiter an. Er stellt konkrete Ansätze vor. Am Ende jedes Kapitelabschnitts befinden sich „Haltepunkte“: sie dienen der tieferen Verankerung im Alltag. Danach gibt es jeweils noch mehrere Übungsangebote.

Wie dieses Buch mein Leben verändert hat

Wie hat das Buch mein Leben verändert? Ich sehe es rückwirkend als Ausgangspunkt für meinen Weg zu mehr Bewusstheit.

Ich habe Übungen aus dem Buch ausprobiert und in meinen Alltag integriert.

Entschleunigung über achtsames Gehen entwickeln

So zum Beispiel die Gehmeditation aus dem Kapitel „Slow down your body“, Abschnitt „Unsere Schritte“.

  • Romhardt regt an, sich eine Strecke auszuwählen, die man im Alltag regelmäßig zurücklegt.

  • Auf dieser Strecke soll man nun bewusstes, langsames Gehen praktizieren. - - Ich wählte dafür einen Abschnitt im Treppenhaus der Firma, in der ich arbeitete.

  • Über einen Zeitraum von einigen Monaten achtete ich beim Stiegensteigen darauf, mein Gehen ganz bewusst wahrzunehmen.

  • Danach war mir das dann auch spontan auf anderen Strecken möglich.

Entschleunigung beim Zähneputzen

Auch weitere Hinweise, wie Tätigkeiten des Alltags so auszuführen, dass man im Moment präsent ist, beherzigte ich – und tue es immer noch.

Meine bevorzugten Aktivitäten dafür sind Zähneputzen und Geschirr abwaschen (dass ich keinen Geschirrspüler habe, kommt dem natürlich sehr entgegen).

Über Zusammenhänge von Ernährung und Beschleunigung lernen

Das Buch hat mich zudem angeregt, mehr auf die Zusammenhänge der Ernährung zu achten:

  • Was esse ich?

  • Wie esse ich?

  • Woher kommen die Produkte, die ich kaufe?

  • Tragen sie bei zur allgemeinen Beschleunigung?

Ich begann, mir in der Mittagspause Zeit für mein Essen zu nehmen und es, so oft wie nur möglich, ohne Ablenkungen zu mir zu nehmen. Der Autor führt diese Zusammenhänge im Abschnitt „Unsere Ernährung“ näher aus.

Mit anderen gemeinsam üben

Wichtige Hinweise gibt Kai Romhardt noch am Schluss im Kapitel „Kein Ende“: Es ist sehr hilfreich, mit anderen gemeinsam zu üben.

Gelassener Umgang mit uns selbst beim Üben

Und es ist wichtig, wie wir auf diesem Übungsweg mit uns selbst umgehen: „Betreiben Sie Slowing down mit der nötigen Entschlossenheit, aber ohne zu verkrampfen.“

Fazit

  • Der Autor schreibt meiner Ansicht nach sehr verständlich, das Buch ist übersichtlich aufgebaut.

  • Kai Romhardt argumentiert nicht mit erhobenem Zeigfinger, sondern erläutert die Themen anhand seiner Erfahrungen auf seinem eigenen Übungsweg.

  • Das Buch regt an, sich Gedanken zu machen über das Phänomen der Beschleunigung in unserer Zeit und Denk- und Handlungsweisen zu hinterfragen.

  • Vor allem aber ist es ein Buch, das praktische Hinweise für die Integration in unseren Alltag bietet.

Falls du dich auf den Weg machen willst zu mehr Ruhe und Gelassenheit, kann ich dir dieses Buch sehr empfehlen. Es kann auch für dich zu einem persönlichen Begleiter werden. Erwünschte und nicht vorhersehbare Wirkungen auf dein Umfeld nicht ausgeschlossen!

Angaben zum Buch

Autor: Kai Romhardt

Titel: Slow Down Your Life

Verlag: Econ

Jahr: 1. Auflage 2004

ISBN: 3-430-17879-7

Website des Autors Kai Romhardt

Laut meinen Recherchen ist dieses Buch in dieser Form nicht mehr im Handel verfügbar. Eine Neuausgabe ist 2011 im Verlag edition steinrich unter dem Titel: „Slow down your life. Vom Glück der Gelassenheit“ erschienen.

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