Wachstum und Verbundenheit in Balance

Wachstum und Verbundenheit sind zwei grundlegende menschliche Bedürfnisse. Sie zu erfüllen ist wichtig für die persönliche Entwicklung. Und doch sind sie häufig nicht im Gleichgewicht: Veränderung wird dann schwierig. Es gibt aber Möglichkeiten, sie in Balance zu bringen.

Dieser Artikel basiert auf zwei Artikeln, die erstmals 2012 und 2012 erschienen sind, hier liest du die aktualisierte Fassung.

In einem habe ich bereits darüber geschrieben, was ich aus dem Vortrag „Müssen wir umdenken, umfühlen oder etwas einfach nur ganz anders machen, damit sich unser Gehirn verändert?“1) des Neurobiologen Gerald Hüther mitgenommen habe:

Kreativität unter Druck funktioniert nicht

Heute nun möchte ich über zwei grundlegende menschliche Bedürfnisse schreiben. Beide sind entscheidend für die persönliche Entwicklung.

Wir wollen wachsen und uns verbunden fühlen

Wir wollen lernen und uns weiterentwickeln, wir wollen uns aber auch sicher und geborgen fühlen.

Da ist diese Sehnsucht nach Freiheit und Aufbruch zu Neuem, und gleichzeitig meldet sich ein Bedürfnis danach daheim zu sein.

Das macht uns Veränderung oft schwer.

Selbst habe ich die Erfahrung gemacht, dass beides häufig schwer zusammengeht. Es gibt wohl auch Phasen, wo eines der Bedürfnisse stärker ist als das andere, und vielleicht ist die Gewichtung auch von Mensch zu Mensch verschieden.

Auf Dauer sollte aber doch wohl immer wieder ein Ausgleich stattfinden.

Jedes System strebt nach Balance von Integration und Weiterentwicklung

Aus der Systemtheorie ist bekannt, dass ein erfolgreiches System dadurch gekennzeichnet ist, dass es sich „auf längere Sicht betrachtet im Gleichgewicht zwischen Integration und Weiterentwicklung“2) befindet. Auch in den Erkenntnissen der Hirnforschung finde ich Bestätigung dafür.

Wachsen und sich verbunden fühlen wurzeln in der frühen Kindheit

Gerald Hüther spricht von den zwei Grunderfahrungen, die jeder Mensch schon im Bauch der Mutter macht:

  1. Ich wachse jeden Tag ein Stück über mich hinaus.

  2. Ich bin verbunden und möchte auch weiter verbunden bleiben.

Diese frühen Erfahrungen machen wir klarerweise noch nicht in sprachlicher Form. Wir entwickeln eine Erwartungshaltung, wollen auch weiterhin sowohl wachsen als auch verbunden sein.

Zwei grundlegende Bedürfnisse entstehen:

  1. Das Bedürfnis nach Wachstum, Potenzialentfaltung, Autonomie, Freiheit

  2. Das Bedürfnis nach Bindung, Nähe, Geborgenheit, Verbundenheit

Die Erinnerung an diese erfahrene Einheit tragen wir in uns und verspüren Sehnsucht, wieder zu uns selbst zurückzufinden.

Dass das, was wir so grundlegend brauchen, ins Gleichgewicht gebracht wird, das passiert allerdings nicht bei allen Kindern. Da kann einiges schief laufen. Und doch liegt hier der Anknüpfungspunkt, um wieder eine Balance zu erleben.

Wie gelingt das? Wie erleben wir ein Gleichgewicht der zwei Bedürfnisse Wachstum und Verbundenheit?

Bewegung – wir lernen primär über unsere Körpererfahrungen

„Bewegung ist Doping fürs Gehirn“, so Gerald Hüther. Die wichtigsten Erfahrungen, die uns am Anfang unseres Lebens prägen, sind Körpererfahrungen. Durch Bewegung wird unser Gehirn buchstäblich strukturiert, es entstehen Verbindungen zwischen Nervenzellen.

Was sich im Gehirn wie verknüpft, hängt davon ab, welche Gefühle wir mit den Körperbewegungen verbinden. Als Babys macht es uns Freude, unseren eigenen Körper bewegen zu lernen. Und wie viel lernen wir doch in kurzer Zeit, es ist doch erstaunlich! Eltern werden wohl bestätigen können, was sich da täglich bei ihren Kindern tut.

Diese Begeisterung über sich selbst im frühkindlichen Alter kann später als Ressource wieder aktiviert werden: durch Bewegung können wir Freude erleben und uns lebendig fühlen.

Eine hilfreiche Methode: Feldenkrais®

Hier helfen verschiedene Formen der Körperarbeit, wie beispielsweise Feldenkrais®. Von der Feldenkrais® Methode halte ich persönlich sehr viel, ich kann sie daher aus eigener Erfahrung empfehlen.

Feldenkrais® hat mir geholfen, mich von alten Mustern zu lösen, mich mit mir selbst in Kontakt zu bringen und mich Neuem zu öffnen auf eine Art und Weise, die mir gut tut und mich nicht überfordert.

Ich habe einen neuen Zugang zu mir selbst gefunden, nicht zuletzt macht es mir Spaß. Ich mag diese sanfte und doch effektive Form der Bewegung, die zugleich ein Training in Achtsamkeit ist.

Die prägenden Erfahrungen in Beziehungen

So wie wir zunächst über unsere Körpererfahrungen lernen, werden dann später die Erfahrungen in sozialen Beziehungen prägend. Als Kinder nehmen wir sehr sensibel wahr, wie die Erwachsenen zu uns und untereinander in Beziehung treten. Ob die Eltern der Welt misstrauisch gegenüber stehen oder aber offen und neugierig, das wirkt sich auf das Kleinkind aus.

„Das Gehirn ist ein soziales Konstrukt.“ (Gerald Hüther). Um wieder die Balance unserer Grundbedürfnisse Wachstum und Verbundenheit zu finden, ist es sehr wirksam, wenn wir uns gemeinsam mit anderen in einen Rhythmus einschwingen, zum Beispiel gemeinsam tanzen oder trommeln. Lernen ist ein sozialer Akt. Hüther beschreibt es so, dass durch das gemeinsame Bewegen so etwas wie Sozialresonanz entsteht.

1) Gerald Hüther: Müssen wir umdenken, umfühlen oder etwas einfach nur ganz anders machen, damit sich unser Gehirn verändert? Vortrag auf dem Heidelberger Symposium „Gehirn und Körper“ vom März 2008.

2) Kai Neumann: Modelst Du schon – oder tappst Du noch im Dunkeln? Consideo 2007, S. 46 (Über vernetztes Denken)

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