Arbeitszufriedenheit und Leistung

Svenja Hofert schreibt in einem Blogartikel über Arbeitszufriedenheit und Leistung: "Wer schaffen will, sollte besser nicht allzu fröhlich sein" – Zufriedenheit sei also hinderlich für Leistung. Ich komme mithilfe des Wertequadrats von Schulz von Thun und aufgrund meiner Erfahrungen im Coaching zu einer anderen Meinung.


Dieser Artikel ist erstmals am 17. September 2014 erschienen, hier liest du die aktualisierte Fassung.

Svenja Hofert hat in ihrem Karriereblog einen Artikel über den Zusammenhang von Arbeitszufriedenheit und Leistung veröffentlicht: "Satte Löwen jagen nicht: Warum Arbeitszufriedenheit und Leistung nicht zusammenhängen."

Ihre These, gestützt auf neue Untersuchungen lautet: Zwischen Arbeitszufriedenheit und Leistung besteht kein oder kaum ein Zusammenhang. Allerdings, im Titel wird mit “Satte Löwen jagen nicht” bereits ein Zusammenhang hergestellt, in der Form: Wer zu zufrieden ist, bringt keine hohe Leistung.

Mich hat dieser Artikel sehr nachdenklich gemacht. Ich wollte dem näher auf den Grund gehen, was mich daran irritiert. Gerade der letzte Absatz steckt meiner Einschätzung nach voller Glaubenssätze, z.B.: "Leistung hat immer auch mit Getriebenheit zu tun" oder "Wer rundum zufrieden ist mit seinem Leben, der bewegt sich nicht mehr über die Maßen".

Glaubenssätze kann man ja, hat man sie einmal durchschaut, bewusst wählen. Die Frage ist, welche man wählen will. Mir behagen diese jedenfalls nicht.

Wertequadrat nach Schulz von Thun

Mich hat der Artikel angeregt, dem, was mich irritiert, mithilfe des Wertequadrats Schulz von Thuns näher auf die Spur zu kommen.

Nach der Beschäftigung mit dem Buch „Kommunikation als Lebenskunst“ von Friedemann Schulz von Thun und Bernhard Pörksen habe ich mich mit den Kommunikationsmodellen Schulz von Thuns näher auseinander gesetzt.

Nun habe ich mich darin versucht, selbst ein Wertequadrat für die Thematik des Artikels von Svenja Hofert zu erstellen:

Wertequadrat nach Schulz von Thun zu Arbeitszufriedenheit und Leistung

Wertequadrat nach Schulz von Thun

Es handelt sich um eine Denk- und Werteschema. Jeder Wert wird in einer „Vierheit“ von Werten und Unwerten gesehen.

Die Annahme lautet: Jeder Wert kann nur dann zu einer konstruktiven Wirkung gelangen, wenn er sich in ausgehaltener Spannung zu einem positiven Gegenwert, einer „Schwestertugend“, befindet.

Ohne diese dynamische Balance verkommt ein Wert zu einer entwertenden Übertreibung. (Siehe Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden Bd. 2., 32. Aufl. Reinbek bei Hamburg 2011, S. 43)


Wie lässt sich das nun anhand meines Beispiels verdeutlichen?

Ich habe Zufriedenheit und Leistungsbereitschaft als positive Werte und satte Selbstgenügsamkeit (ich bewege mich gar nicht mehr vom Fleck) und Getriebenheit (innere Zerrissenheit und äußerer Aktionismus) als “Unwerte” festgelegt.

  • Zufriedenheit (1) und Leistungsbereitschaft (2) stehen in einem positiven Spannungsverhältnis. Sie können nur miteinander wirksam sein. Es besteht ein Zusammenhang zwischen ihnen und sie stellen keinen Gegensatz dar.

  • Zufriedenheit in übertriebenem Ausmaß artet aus zu satter Selbstgenügsamkeit (3).

  • Die satte Selbstgenügsamkeit stellt den konträren Gegensatz zur Leistungsbereitschaft (2) dar.

  • Ein Übermaß an Leistungsbereitschaft führt zur Getriebenheit (4).

  • Die untere Verbindung zwischen satter Selbstgenügsamkeit (3) und Getriebenheit (4) stellt eine „Überkompensation“ dar: Wenn wir einem der unteren Werte entfliehen wollen, aber nicht die Kraft haben, uns in die Spannung der oberen Pluswerte hinaufzuarbeiten, fallen wir in den anderen Unwert. Von der Starre und der Unbeweglichkeit zur inneren Zerrissenheit und äußeren Hektik - oder umgekehrt.


Das Wertequadrat als Entwicklungsquadrat nach Schulz von Thun

Das Wertequadrat kann auch als Entwicklungsquadrat verwendet werden:

Ich kann mich von der satten Selbstgenügsamkeit zur Leistungsbereitschaft entwickeln, ohne die Zufriedenheit zu verlieren. Oder aber meine Entwicklungsrichtung läuft von der Getriebenheit zur Zufriedenheit, ohne die Leistungsbereitschaft wegzulassen.

Polarisierungen durchschauen mit dem Wertequadrat

Spannend und hilfreich scheint mir auch die Verwendung des Wertequadrats, um Polarisierungen zu durchschauen.

Wertequadrat nach Schulz von Thun - Polarisierungen durchschauen

Wertequadrat nach Schulz von Thun – Polarisierungen


Wenn über ein Thema gesprochen wird, streiten Menschen oft über Schwesterntugenden. Die einen meinen, Zufriedenheit am Arbeitsplatz sei wichtig, die anderen sind der Überzeugung, nur die Leistungsbereitschaft zähle. So als schließe das eine das andere aus.

Nun passiert häufig, dass man sich selbst einem oberen Wert verpflichtet fühlt (z.B. der Leistungsbereitschaft), den Diskussionspartner hingegen als Verkörperung der Fehlhaltung (satte Selbstgenügsamkeit) sieht.

Sowohl-als-auch in dynamischer Balance

Mir hilft dieses Modell sehr, die Begriffe differenziert zu betrachten. Mir gefällt auch sehr gut diese Haltung des Sowohl-als-auch in dynamischer Balance anstatt eines starren Entweder-oder.

Ich mache die Erfahrung, dass die Frauen bei mir im Coaching durch die Frage, wer sie sind, was sie brauchen, was ihre Werte sind, was sie können und wollen, eine tiefe innere Zufriedenheit entwickeln. Ein Gefühl der Getriebenheit macht Ruhe und Gelassenheit Platz. Und aus diesem Zustand heraus wollen sie sich bewegen. Aber nicht mehr in irgendeine, sondern in ihre Richtung.

Wie definiert Svenja Hofert in ihrem Artikel Leistung? „Leistung wird in Untersuchungen in der Regel in Zusammenhang mit Zielerreichung gesetzt. Jemand der gesetzte Ziele erfüllt und übererfüllt, leistet etwas. Leistung außerhalb der Zielerreichung ist nur im Sport messbar.“

Ich frage mich: Wer setzt die Ziele? Empfindet der Mitarbeiter die gesetzten Ziele auch als seine Ziele? Sind sie überhaupt erreichbar? Und gibt es überhaupt Zielvereinbarungen? Und was ist mit dem, was Mitarbeiter einbringen, das aber nicht messbar ist?

Die wichtige Frage ist dann meines Erachtens die, inwiefern in einem Unternehmen der Einzelne die gesetzten Ziele auch als seine eigenen erkennen kann.


Literaturangaben

Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden Bd. 2., 32. Aufl. Rowohlt Verlag 2011

Bernhard Pörksen und Friedemann Schulz von Thun: Kommunikation als Lebenskunst. Philosophie und Praxis des Miteinander-Redens. Carl-Auer Verlag

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