Ariadne von Schirach: Du sollst nicht funktionieren (Rezension)

Ariadne von Schirach schreibt gegen die Selbstoptimierung an: in ihrem Buch "Du sollst nicht funktionieren. Für eine neue Lebenskunst". Es sei an der Zeit, nach dem guten Leben zu fragen. Und das hat sehr viel mit Berufung zu tun. Mehr dazu in dieser Buchbesprechung.

Dieser Artikel ist erstmals am 23. Juni 2015 erschienen.

Ariadne von Schirach bringt in diesem Buch ihr Unbehagen darüber zum Ausdruck, dass Marktstrukturen allgegenwärtig sind: Wir optimieren unsere Körper und unsere Lebensläufe. Wir sehen in allen Beziehungen den Nutzen-Aspekt.

Als Alternative sieht sie eine neue Lebenskunst, bei der wir uns die Frage stellen, wofür es sich zu leben lohnt.

Die Autorin Ariadne von Schirach

Ariadne von Schirach ist Philosophin. Sie lehrt an der Berliner Universität der Künste und arbeitet als freie Journalistin und Kritikerin.

Wider die Selbstoptimierung

Wir sind permanent am Optimieren: unsere Körper, unsere Lebensläufe, unser Tun. Die Autorin seziert die Haltung: Wir wissen, wie es richtig geht – und wenn nicht, dann gibt es dafür einen Ratgeber. Das Leben habe sich in eine Art lösbares Problem verwandelt.

Der Tod als Leitfigur

Als Leitfigur tritt im Buch immer wieder der Tod auf. Er sitzt bei der Erzählerin auf dem Sofa und stellt Fragen wie: „Woran willst du dich erinnern, wenn wir uns wiedersehen?“ (S. 150)

Er berührt damit eine Haltung der Lebenskunst, die voraussetzt, dass wir mit uns selbst ins Gespräch treten, uns wirklich zuhören. Und dafür brauchen wir Ruhe.

Zeit für die Frage nach dem guten Leben

Zunächst schreibt Ariadne von Schirach darüber, was alles verschwindet: eine lange Liste, auf der unter anderem Leid, Schmerz und Schönheit stehen.

Was zunächst wie eine Klage, ja eine Anklage klingt, geht über in die Feststellung, dass es nicht am „Gespenst des Verschwindens“ mangelt. Um dann aufzuführen, was bleibt und was noch alles da ist: beispielsweise Sehnsucht, Mut und die Zukunft. Diese Widersprüche finden sich mehrmals im Buch.

Und das ist nur folgerichtig, stellt die Autorin doch fest, dass es die Eindeutigkeit ist, die der heutigen Marktlogik zugrunde liegt. Das neue Menschenbild, das die Autorin erstrebenswert findet, fixiert uns nicht in einem Urteil oder Bild. Wir irren uns, wir streben nach etwas und wir können uns ändern.

Für Ariadne von Schirach ist es an der Zeit, die Frage nach dem guten Leben zu stellen: Wie wollen wir leben? Was halten wir für wichtig?

Das „finden“ wir nicht, sondern Sinn und Bedeutung müssen wir selbst erzeugen.

Jede Einzelne ist Expertin ihres Lebens mit Instinkt für das Gemeinwohl

Die Autorin sagt ganz deutlich: Die Zukunft geht uns etwas an.

„Es ist notwendig, daran zu glauben, dass jeder und jede Einzelne alles besitzt, um der Experte ihres und seines Lebens zu werden, und darüber hinaus noch einen guten Instinkt hat für alles, was das Gemeinwohl und die Gesellschaft angeht.“ (S. 180)

Wofür lohnt es sich also zu leben? Ariadne von Schirach beantwortet diese Frage mit: „Für das Leben! Für alles, was wir gemeinsam tun und erfahren, für Risiko und Leidenschaft und Hingabe. Für die Schönheit, für die Tapferkeit und für die Liebe.“ (S. 179)

Fazit

Auffallend ist für mich, wie sehr das Buch in den renommierten Zeitungen Deutschlands verrissen wurde. Man hätte das alles schon irgendwo gehört, die Autorin schreibe kitschig und sei naiv.

Es gehört viel Mut dazu, sich selbst auszudrücken und sich damit den Kritikern auszusetzen. Einzustehen für das, was einem wichtig ist.

Der Anspruch, etwas Gänzlich Neues zu schreiben, ist Ausdruck einer Sichtweise, die den Autor als abgetrenntes Wesen sieht, das unabhängig von bereits Gedachtem, Geschriebenem und von anderen Menschen neue Ideen hervorbringt und dann das Recht hat, das Siegel „mein Eigentum“ drauf zu kleben. Alles muss „ganz neu sein“ und am besten auch gleich die schnelle Lösung mitliefern.

Obwohl die Autorin viel über ihre Ansichten schreibt, bleibt sie selbst als Person für mich seltsam ungreifbar. Aber das ist vielleicht gerade ihre Absicht: sich nicht eindeutig verorten zu lassen und nicht zum Bild zu werden.

Ein wichtiges Buch, das zur Reflexion anregt, vor allem über die eigene Haltung. Nicht zuletzt macht es Mut, für sich selbst und die eigenen Werte einzustehen und die Zukunft gemeinsam mit anderen zu gestalten.

Angaben zum Buch

Ariadne von Schirach: Du sollst nicht funktionieren. Für eine neue Lebenskunst. Verlag Tropen

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