Focusing: Eine kraftvolle Methode gegen Stress und für deine berufliche und persönliche Entwicklung

Focusing ist eine achtsame Methode, die von Eugene Gendlin entwickelt wurde. Sie hilft bei der Stressbewältigung, für mehr Gelassenheit im Job, aber auch für mehr Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen. In diesem Artikel beschreibe ich, was Focusing ist, wie ich selbst dazu gekommen bin und welche Ressourcen es gibt, um sich über Focusing zu informieren und die Focusing-Methode zu lernen.

Was ist Focusing?

Focusing wurde vom Psychotherapeuten und Philosophen Eugene Gendlin, manchmal auch Gene Gendlin genannt, entwickelt. Er fragte sich, warum manche Therapien erfolgreich verlaufen und andere nicht.

Dafür zeichnete er mit Kolleg:innen hunderte Sitzungen auf. Bei der Analyse stellte er etwas Erstaunliches fest: Es kam nicht auf den Therapeuten an oder darauf, was die Menschen, mit denen er arbeitete, sprachen. Ausschlaggebend war, wie sie mit ihrem inneren Erleben in Kontakt waren und es auch äußern konnten.

Mit dem inneren Erleben in Kontakt kommen

Gendlin entwickelte daraufhin einen Rahmen, um seinen Klient:innen zu ermöglichen, mit ihrem inneren Erleben in Kontakt zu kommen. Darüber hinaus schulte er Menschen außerhalb eines therapeutischen Rahmens darin.

Focusing ist Hilfe zur Selbsthilfe

Was ich so befreiend finde: Hat man einmal Zugang gefunden, dann kann man es für sich selbst anwenden. Es ist also wahrhaftig Hilfe zur Selbsthilfe.

Gehen Themen allerdings tief, dass man alleine nicht zurande kommt, dann kann man sich Hilfe von Therapeut:innen oder einem Coach oder einer Coachin holen, die Focusing als Methode in ihrer Werkzeugkiste haben.

Und man kann Focusing in Partnerschaften üben und laufend durchführen. Dieses partnerschaftliche Focusing ist ein wunderbares Mittel der Psychohygiene: sich selbstbestimmt und eigenverantwortlich mit eigenen Themen auseinandersetzen, während eine andere Person da ist und Raum hält, ohne Ratschlag, ohne Bewertung.

Was Focusing bewirkt

Focusing ist eine Methode, mit der du sanft und zugleich wirkungsvoll mit Themen arbeiten kannst, die du als belastend empfindest. Doch nicht nur das: du kannst Focusing auch ganz grundlegend dafür verwenden, um hinzuspüren, wie es dir geht und was in dir vorgeht. Das kannst du auch machen, wenn du kein Problem hast.

Du gehst damit über reines Reflektieren hinaus und beziehst auch deine anderen Wissensquellen ein: Fühlen, Spüren, innere Bilder, Erinnerungen. So wird ein Thema ganzheitlich beleuchtet, eine nachhaltige Veränderung kann stattfinden.

Wobei Focusing konkret hilft:

  • An Themen arbeiten, die du als schwierig bzw. als Problem erlebst

  • Entscheidungen treffen

  • Glaubenssätze auflösen

  • Stress bewältigen

  • Resilienz aufbauen

  • Ruhe und Gelassenheit entwickeln

  • Achtsam mit dir umgehen

  • Mehr Lebensfreude entwickeln

  • Deine Kreativität fördern

Focusing hilft dir:

  • Bei der Selbstfürsorge

  • Achtsam und liebevoll mit dir umzugehen

  • Beim Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein stärken

  • Selbstvertrauen zu entwickeln

  • Resilienz aufbauen

  • Zu dir selbst zu finden und in der Folge selbstbestimmt zu leben und zu arbeiten

Focusing ist nicht nur eine Methode für die persönliche Entwicklung, wie es der Wikipedia-Artikel zu Focusing anführt. Und es wird auch nicht nur in der Therapie angewendet, sondern es lässt sich auch im Coaching wunderbar einsetzen.

Was mich aber besonders beeindruckt, ist, dass es ein Ansatz zur Selbsthilfe ist. Das beschreibe ich im Abschnitt „Du kannst Focusing lernen“ genauer, weil ich es so toll finde.

Focusing war für mich lebensverändernd – kein Spaß!

Mich selbst annehmen, mit all meinen Gedanken, Gefühlen und Empfindungen. Mit meiner Geschichte. Meinen Träumen und Sehnsüchten. Lange ist mir das sehr schwer gefallen. Bis ich Focusing kennengelernt habe.

Für mich ist es mehr als bloß eine Methode. Es ist eine Haltung: mir selbst gegenüber, anderen gegenüber und der Welt gegenüber.

Die Erfahrung, wirklich gesehen und gehört zu werden

Auf Focusing kam ich 2008, bei einem Workshop mit Russell Delman in Wien. Er integriert Focusing in seinen Embodied Life Ansatz. Eine Übung an diesem Wochenende war, einfach wahrzunehmen, was gerade in mir vorgeht, und einem Partner davon zu erzählen. Die Aufgabe des Partners war, da zu sein und zuzuhören, keine Kommentare und Ratschläge zu geben oder über sich selbst zu erzählen.

Als wir die Rollen wechselten, merkte ich, dass das ganz schön herausfordernd ist. Und auch Worte dafür zu finden, was sich gerade an Körperempfindungen, Gefühlen und Bildern zeigt, war überhaupt nicht einfach.

Nach der Übung fühlte ich mich erleichtert und erfrischt. Etwas in mir, das wirklich gesehen und gehört werden will, hatte Raum bekommen und atmete auf.

Focusing bei meiner Neuausrichtung und in meiner Arbeit mit Menschen

Focusing ist für mich nicht einfach eine Methode. Es ist für mich zu einer Haltung mir selbst und anderen gegenüber geworden. Meine Kommunikation hat dadurch eine ganz neue Qualität bekommen. Und es ist ein kontinuierlicher Weg. Nichts, was ich einmal gelernt habe, und das war es dann. Das bedeutet für mich Entwicklung.

Gerade in Zeiten des Umbruchs, der Neuorientierung und Veränderung stoßen wir auf Unbekanntes und Unklares. Focusing hilft, damit umzugehen. Denn das, was sich im inneren Erleben zeigt, ist zunächst nicht klar eingeordnet, nicht definiert. Es zeigt sich ganz frisch.

Ich bin davon überzeugt, dass es die Grundkompetenz unserer heutigen Zeit ist, mit komplexen Situationen umzugehen, wo eben nicht alles klar ist, wo wir kein eindeutiges Wissen haben. Wir fühlen uns dann schnell unsicher. Tendieren dazu, in Schwarz und Weiß einzuteilen.

Focusing ermöglicht mir, eine neue Qualität der Sicherheit zu entwickeln: Eine, die nicht auf „das Problem sofort im Griff haben”, unter Kontrolle bringen und ”das alles schnell reparieren” basiert.

Wie geht Focusing? - Du kannst Focusing lernen!

Du denkst dir jetzt vielleicht: „Das klingt ja alles sehr schön. Wenn das so eine Wirkung hat, ist es wohl schwierig und kompliziert.“

Nein, das ist es nicht. Es ist, wenn man einmal die Kniffe heraus hat und es anwendet, so wenig kompliziert, dass ich mich wundere, warum es nicht allgemeiner bekannt ist. Ich finde, es wäre schon im Schulunterricht eine Grundkompetenz. Und auch in weiterführenden Ausbildungen und im Arbeitsleben.

„Aber wie geht Focusing. Sag doch endlich!?“ Gut, mache ich. Gerne. Es geht ja hier nicht gleich um das gesamte Ausbildungssystem, sondern um dich.

Focusing: Anleitung

Die 6 Schritte im Focusing

Eugene Gendlin hat Focusing als Prozess-Modell entwickelt. Dabei hat er sechs Schritte herausgearbeitet: https://focusing.org/german

Schritt 1: Einen Raum schaffen

Zunächst ist es wichtig, sich Zeit für das Focusing zu nehmen. Sich einen ruhigen Ort dafür zu suchen. Innerlich ruhig zu werden. Hinzuspüren, worum es eigentlich geht, was du erkunden möchtest: was ist das Thema oder was ist die Frage? Vielleicht kommen mehrere. Nimm sie alle zur Kenntnis, dann entscheide dich für eines.

Wichtig ist dabei eine neugierig-interessierte Haltung. Du willst etwas über dich lernen. Dich dabei aber nicht unter Druck setzen, nichts erzwingen.

Schritt 2: Einen Felt Sense entstehen lassen

Was ist das erste, was dir diesbezüglich auffällt? Wie fühlt es sich in deinem Körper an? Was ist dieses Etwas in seiner Gesamtheit, was löst es aus?

Diese Gesamtheit des Themas, der Frage, des Problems, die ist wahrnehmbar in dem, was im Focusing “Felt Sense” genannt wird. Ich gehe weiter unten noch speziell darauf ein, weil es so ein wichtiger Aspekt ist.

Schritt 3: Einen "Griff" finden

Formt sich eine Körperempfindung? Löst es eine Gefühlsqualität aus? Oder ein inneres Bild? Eine Erinnerung? Bleib bei dem, was sich als erstes zeigt. Welches Wort kommt dafür? Welcher Satz? Wie kannst du es beschreiben?

Wenn ein Wort oder ein Bild stimmig ist, dann ist das der “Griff”.

Schritt 4: Zwischen “Griff” und Felt Sense vergleichen

Passt dieses Wort? Wechsle zwischen der Empfindung / dem Bild / dem Gefühl und dem Wort. Probiere andere Worte oder Beschreibungen aus. Sind sie stimmiger? Achte auf ein körperliches Gefühl der Stimmigkeit.

Lass dich dabei von deinen Wahrnehmungen leiten. Scheinbar unsinnige Worte oder Bilder sind in Ordnung, sogar sehr wertvoll.

Schritt 5: Fragen

Nun kannst du Fragen stellen. Bleib in der neugierig-offenen Haltung. Was hat dieses Gefühl / diese Empfindung / dieses Bild mit meinem Thema, meiner Frage zu tun? Schau, was sich dazu zeigt.

Die Gefahr dabei ist, ganz in den Kopf zu rutschen und anzufangen zu analysieren und zu erklären. Darum geht es hier aber nicht. Bleib mit dem Felt Sense in Kontakt. Geh immer wieder zurück zum Gefühl-Gespür. Es kann sein, dass Dinge kommen, die sich unlogisch anfühlen, seltsam, verrückt: das ist gut so, da bist du etwas Neuem auf der Spur!

Schau, ob du so etwas wie einen "shift" fühlst. Gendlin spricht vom Felt Shift. Das kann zum Beispiel ein tiefes Durchatmen sein, ein Seufzer, oder etwas in deinem Körper, das verspannt war, löst sich plötzlich. Hier zeigt dir dein Körper, dass sich etwas verändert hat.

Aber ein "Felt Shift" ist keine Bedingung. Du musst nicht krampfhaft darauf warten, dass so etwas eintritt.

6) Annehmen und schützen

Nimm alles wahr, das sich mit dem "shift" zeigt, falls du einen wahrnimmst. Heiße es willkommen. Lass es auf dich wirken, geh nicht schnell darüber hinweg. Auch wenn es subtil ist (häufig ist es das, erwarte nicht ein "Über-drüber-Gefühl"), das ist auch eine Übung, die leisen Töne in dir wahrzunehmen.

Und schütze es. Lasse es auf dich wirken. Zerrede es nicht.

Die sechs Schritte sind hilfreich, um Focusing zu lernen. Sie sind wie ein Gerüst, an dem man sich entlang hangeln kann. Doch sind sie meiner Meinung nach keine starren Regeln. Es heißt nicht, dass ein Focusing-Prozess immer so ablaufen muss. Oder das man die sechs Schritte genau in dieser Reihenfolge abarbeiten muss.

Es ist wie bei allem, das man neu lernt: Ein Rahmen ist hilfreich, um einen Zugang dazu zu finden. Dann geht es um das eigene Erleben.

Ein entscheidendes Konzept bei Focusing ist der Felt Sense

Näher eingehen möchte ich auf den zweiten Schritt im beschriebenen Focusing-Prozess: Den Felt Sense.

Siehe dazu auch meinen Blogartikel: "Was ist ein Felt Sense eigentlich?"

Ein Felt Sense ist vage und unklar. Darin liegt seine enorme Wirksamkeit – und auch eine Schwierigkeit. Wir sind es gewohnt, dass alles klar sein soll. Wir sollen "schnell auf den Punkt kommen", "die richtigen Worte finden". Tun wir das nicht, wird uns das leicht als Inkompetenz ausgelegt.

Bei einem Focusing-Prozess darfst du dir die Zeit der Unklarheit nehmen. Sie ist sogar entscheidend!

Denn plauderst du beim Focusing munter drauf los, ohne Nachsinnen, ohne Pause, ohne ein Ringen nach Worten, dann kann das auch hilfreich sein, denn du bist mit dir in Kontakt – es ist halt nur kein Focusing. Du sagst dir wahrscheinlich Dinge, die du schon längst weißt. Oder du rechtfertigst dich. Oder du beginnst über die anderen zu sprechen, die bei diesem Thema beteiligt sind. Oder du erzählst dir über Ereignisse, die sich zugetragen haben.

Das Unklare, Verschwommene, noch Vage gilt es zunächst also auszuhalten. Das kann anfangs eine Herausforderung sein. Sei also nicht zu streng mit dir. Sieh es als Übungsweg.

Ressourcen, um Focusing zu lernen

Es gibt einige Ressourcen, um sich über Focusing zu informieren und sich Focusing-Kompetenzen anzueignen. Hier gebe ich dir einige Hinweise:

Bücher

Grundlegend sind die Bücher von Eugene Gendlin, auf Deutsch ist erhältlich:

Eugene T. Gendlin: Focusing. Selbsthilfe bei der Lösung persönlicher Probleme. Rowohlt (2020)

Ich selbst schätze Ann Weiser Cornell sehr. Auch von ihr gibt es Bücher:

Ann Weiser Cornell: Focusing. Der Stimme des Körpers folgen. Rowohlt (1997)

Ann Weiser Cornell: Die Kunst des Annehmens. Leben und Arbeitn mit Focusing. In Zusammenarbeit mit Barbara Mc Gavin. (2013)

Eveline Moor: Körperweisheit. Wie Sie mit Focusing Ihre Körperintelligenz nutzen. Goldegg (2017)

Siehe dazu meine Buchbesprechung “Eveline Moor: Körperweisheit und Focusing (Rezension)

Texte von und über Eugene Gendlin und Focusing

Texte von Eugene Gendlin in der Gendlin Online Library des International Focusing Institute, darin zu Focusing (Englisch)

Artikel zu Focusing beim DFI Deutsches Focusing-Institut (deutsch)

Blogartikel von mir zum Felt Sense: “Was ist ein Felt Sense eigentlich?”

Blogartikel von mir zu Thinking at the Edge: “Thinking at the Edge: Ein neues, kraftvolles Denken”

Was hältst du von Focusing? Hast du es schon einmal ausprobiert? Oder hast du Fragen dazu? Schreibe gerne in den Kommentaren.

Zurück
Zurück

Gefühle zulassen bringt dich in deine Lebendigkeit

Weiter
Weiter

Glaubenssätze: Was sie sind und wie du einen negativen Glaubenssatz änderst