Warum ich hauptsächlich mit Frauen arbeite

“Warum richtest du dich hauptsächlich an Frauen?” oder auch “Warum sind Sie eigentlich so auf Frauen fixiert?” – in diesen oder ähnlichen Worten höre ich die Frage häufig. Ja, warum? Eine naheliegende Frage. Ich beantworte sie in diesem Artikel.

Dieser Artikel ist erstmals am 30. März 2015 erschienen, hier liest du die aktualisierte Fassung.

Beim Einzelcoaching und in Gruppen spüre ich mit Frauen eine besondere Resonanz. Ich fühle mich einfach wohl – und das ist mir wichtig.

Da ist aber noch mehr.

Es hat zu tun mit meiner tieferen Intention. Dem, worin ich meine Aufgabe sehe: Weil es mich zutiefst betrifft und weil ich weiß, dass ich dazu etwas beitragen kann und will.

Der Artikel, der mich zutiefst erschüttert hat

Ich erinnere mich an eine Situation in meiner Jugend. Ich war so etwa 15 oder 16 Jahre alt. Von meinem Onkel hatte ich bereits ein paar Jahre lang zu Weihnachten ein Jahresabo des “Reader’s Digest” geschenkt bekommen: Damals ein Magazin, das mehrmals im Jahr erschien und gekürzte Artikel aus Zeitschriften und Buchauszüge enthielt.

In der Ausgabe, die ich zunächst nur durchblätterte, blieb meine Aufmerksamkeit an einem Artikel hängen. Ich las über Frauen, die in einer Kriegssituation systematisch vergewaltigt wurden. Das war sehr detailliert geschildert.

Etwas in mir war in den Grundfesten erschüttert. Ich hatte davor bereits von Gewalt an Frauen gehört, auch von Vergewaltigungen. Wie auch nicht! Ab einem gewissen Alter war das als potentielle Gefahr für Mädchen und Frauen ein ständiger Begleiter (“nicht im Dunklen spät alleine nach Hause gehen!”).

Aber dieser Bericht zeigte mir etwas auf, das mir in dieser Dimension zuvor nicht bewusst war. Es war unfassbar für mich. Und ich wusste: ich bin ein Mädchen, eine junge Frau, es hat etwas mit mir zu tun.

Rückblickend glaube ich, dass diese Erschütterung mich geformt und zu der Arbeit geführt hat, die ich nun tue.

Der Ausschluss der Frauen

In meinem Germanistik- und Philosophiestudium habe ich mich mit feministischer Forschung befasst. Ich erfuhr vom Ausschluss der Frauen aus gesellschaftlichen Prozessen und aus der Wissenschaft. In älteren wissenschaftlichen Werken wurde über Frauen geredet als Anhängsel oder Besitz des Mannes. Das plötzlich so deutlich zu sehen: wiederum ein Schock.

Im Studium habe ich auch gelernt, mich vor Zuordnungen aufgrund des biologischen Geschlechtes zu hüten. Überhaupt wachsam zu sein bei Kategorisierungen. “Weiblich” heißt für mich nicht, dass das nur Frauen zukommt. Wir tragen alle weibliche und männliche Eigenschaften in uns. Und wenn ich sage alle, dann meine ich auch diejenigen, die sich nicht binär als Mann oder Frau erleben.

"Männlich" und "weiblich" lässt sich nicht so einfach zuordnen, es ist fließend. Daher ist jegliches Sprechen oder Schreiben darüber heikel.

Doch für uns alle gilt aus meiner Sicht: “Das Weibliche” oder das, was als weiblich interpretiert wurde, wurde lange als geringer bewertet als “das Männliche”. Es gibt immer noch ein Ungleichgewicht.

Was meine ich nun aber mit "weiblich"?

"Weiblich", dazu gehören für mich Qualitäten wie:

  • emotionale Intelligenz,

  • Intuition und Gespür,

  • Beziehungen und

  • Kooperation.

“Das Weibliche” ist auch das, was Sorge trägt, für sich selbst und andere, das sich verbunden fühlt mit anderen Menschen und mit der Natur. All dies ist weniger leicht “in den Griff zu kriegen” als männliche Qualitäten wie Linearität, Zielorientiertheit und Rationalität.

Weil sie nicht so leicht oder gar nicht messbar sind, werden weibliche Qualitäten oft als unwichtig abgetan. Sie werden belächelt oder lächerlich gemacht, und häufig wird ihnen mit Gewalt begegnet.

Das, was nicht so leicht fassbar ist, soll dann häufig mit Dominanz kontrollierbar werden. Kontrolle und Dominanz sind wesentliche Züge unserer Gesellschaft, und weltweit.

Wir tun uns alle Gewalt an, wenn wir unsere weiblichen Seiten unterdrücken

Das beginnt bei uns selbst, bei der Beziehung zu uns selbst, der Art und Weise, wie wir mit uns reden und mit uns umgehen. Das habe ich bei mir selbst erlebt – und im Coaching begegne ich dem laufend. Es scheint nichts so schwierig zu sein, wie respektvoll und liebevoll zu sich selbst zu sein. Selbstfürsorge, Selbstwertgefühl und Selbstwertschätzung sind daher wichtige Themen in meinen Coaching-Begleitungen.

Gerade Frauen haben in den letzten Jahrzehnten versucht, ihre männlichen Seiten zu entwickeln, um im Beruf erfolgreich zu sein. Es war ein notwendiger Schritt, um sich aus einschränkenden Bedingungen zu lösen, sich zu emanzipieren.

Das Männliche in seiner positiven Kraft verleiht uns Standfestigkeit, Abgrenzung und Tatkraft. Wir brauchen das. Wenn wir es allerdings einseitig leben, dann führt das in die Erschöpfung. Und es erfüllt uns nicht.

Wiedererinnerung und Pflege der weiblichen Qualitäten

Uns mit unseren weiblichen Qualitäten wiederverbinden, das steht nun an: für unsere persönliche Entwicklung, für die Gestaltung unserer Berufung und für eine lebensförderliche Qualität der Beziehung mit anderen Menschen und nicht-menschlichen Wesen und unserer wunderbaren Erde.

Doch wie stellen wir das an?

Schutz- und Krafträume für Frauen

Wirksam und notwendig sind dafür geeignete Räume. Es ist so hilfreich für Frauen, sich mit anderen Frauen gemeinsam dem Weiblichen zu öffnen. Es ist wichtig, dafür einen Raum zu haben, in dem wir uns sicher fühlen. Wo wir merken: “Ich bin nicht alleine, anderen geht es auch so”. Das ist so etwas wie ein Schutz- und gleichzeitig Kraftraum, in dem wir das Weibliche in uns behutsam stärken können – und das Männliche in seiner positiven Kraft (uns zeigen in der Welt, Dinge umsetzen, ohne uns klein zu machen oder auszubrennen).

Um solche Räume für Frauen zu gestalten und zu unterstützen, arbeite ich hauptsächlich mit Frauen.

Ich finde es schön und wichtig, dass auch Männer Räume für ihre Entwicklung haben. Letztlich geht es meiner Ansicht nach um eine belebende Ergänzung zwischen dem Weiblichen und dem Männlichen in der jeweils positiven Kraft.

Eines der Grundprinzipien des Lebendigen ist Diversität, also Vielfältigkeit. Ich halte es daher für entscheidend, ebenso Räume zu schaffen, in denen Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit und Einzigartigkeit zusammenkommen (Geschlecht, Alter, Religion bzw. Weltanschauung, sexuelle Orientierung, Herkunft, Bildung, berufliche Erfahrung…)

Ich schließe niemandem vom Coaching aus. Wer sich angesprochen fühlt von meiner Person und meiner Arbeitsweise, wer damit in Resonanz geht, meldet sich. Einige Gruppenangebote sind allerdings für Frauen ausgeschrieben (im Sinne des oben erwähnten Schutz- und Kraftraums): das mache ich dann jeweils in der Beschreibung des Angebotes kenntlich.

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