Resilienz aufbauen: Geschmeidig mit Belastungen umgehen und daran wachsen

Stress im Job, Geldsorgen, dich neu orientieren, eine neue Lebensphase, eine schwere Krankheit, der Tod einer geliebten Person – all das sind schwierige Situationen, die uns leicht den Boden unter den Füßen wegziehen. Resilienz ist ein wichtiger Aspekt für die Stressbewältigung, aber nicht nur. Sie hilft dir auch, deine Berufung zu leben. Doch was genau ist Resilienz und wie kannst du deine Resilienz stärken?

Was ist Resilienz?

Resilienz: Du hast wahrscheinlich schon oft davon gehört. Aber was ist das eigentlich? Fragst du dich vielleicht. In der Psychologie wird damit Widerstandskraft gemeint: die Fähigkeit, schwierige, stressvolle Situationen so zu überstehen, dass keine Beeinträchtigungen zurückbleiben, oder man aufgrund der Belastung sogar noch mehr Stärke entwickelt.

Die Resilienzforschung spricht bei diesen schwierigen Situationen von Stressoren: dazu zählt sie wichtige Übergangsphasen im Leben und kritische Lebensereignisse.

Resilient sein bedeutet, sich seiner eigenen Ressourcen bewusst zu sein und auf sie zugreifen zu können, um Schwierigkeiten zu meistern.

Der verwurzelte und flexible Grashalm

Mir kommt bei Resilienz das Bild eines Grashalms in den Sinn. Er ist verwurzelt, stabil, er ist nach oben hin ausgerichtet. Und er ist zugleich flexibel: er biegt sich im Wind nach links und nach rechts. Wenn es stürmt, dann knickt er bis zum Boden. Doch er richtet sich wieder auf.

Auf uns Menschen übertragen heißt das: Eine Situation, die wir als belastend erleben, wirft uns nicht um; oder nicht dauerhaft, wir können wieder aufstehen, ohne größeren Schaden genommen zu haben, oder wir erholen uns rasch wieder.

Das ist das, was für mich bei dem Begriff als inneres Bild aufsteigt. Doch wo kommt der Begriff Resilienz her? Und gibt es dazu einen deutschen Ausdruck?

Wo kommt der Begriff Resilienz her?

Resilienz kommt von lateinisch "resilire"

Als gelernte Sprachwissenschaftlerin und Philosophin erkunde ich gerne erst einmal die Begriffe. Wo kommen sie her? Resilienz kommt von lat. resilire, was „zurückspringen“ bedeutet. Das wurde zunächst in der Physik verwendet, für stark beanspruchte Materialien, die wieder in ihre ursprüngliche Form zurückkehrten.

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde „Resilienz“ dann in die Psychologie übernommen und auf menschliches Verhalten übertragen.

Auf Deutsch wird Resilienz meist mit Widerstandsfähigkeit oder Widerstandskraft ausgedrückt

Auf Deutsch wird oft Widerstandsfähigkeit gebraucht, wenn man nicht das Fremdwort oder Fachwort benutzen möchte. Mir gefällt es. Darin enthalten sind "wider", "Stand" und "Fähigkeit". Das drückt für mich aus, dass es etwas mit Standfestigkeit zu tun hat: ich stehe für etwas, ich stehe für etwas ein, ich sage Ja zu etwas. Das bedingt, dass ich mich kenne: meine Bedürfnisse und das, was für mich wichtig ist – gut, wahr und schön.

Resilienz fragt nach dem tiefen Ja, aus dem heraus du Nein sagen kannst

Aus diesem Ja heraus sage ich Nein zu Situationen und Umständen, die mir nicht gut tun oder die ich nicht richtig finde – in diesem Nein liegt das wider/gegen.

Und Fähigkeit besagt, dass Widerstandsfähigkeit etwas ist, das ich lernen kann. Im Englischen lautet Fähigkeit ability, so wie in responsability, die Fähigkeit, zu antworten, statt bloß in alten Mustern zu reagieren.

Das große Potenzial der Resilienz

In dieser Kraft des Ja und des Nein liegt für mich ein großes Potenzial der Resilienz. Ich bin bei Begriffen, die zu Modebegriffen werden, zunächst skeptisch und mache mir in Ruhe mein eigenes Bild.

Resilienz möchte ich nicht so verstehen, dass vom Einzelnen verlangt wird, sich noch besser Umständen anzupassen, die krank machend sind. Oder Resilienz als rein individuelles Thema sehen.

Ich kann noch so achtsam sein und für mich Sorge tragen – wenn das Umfeld toxisch ist, sei es im Umgang miteinander oder durch konkrete Schadstoffe, dann stoße ich als Einzelne an Grenzen. Die Frage ist dann: Was bedeutet Resilienz für uns als Gemeinschaft und Gesellschaft?

Resilienz hat also immer auch eine Komponente, die über die einzelne Person hinausweist.

Siehe: Ein Gespräch zu Widerstandsfähigkeit bzw. Resilienz – ich spreche in einem Panel mit fünf weiteren Expert*innen, unter der Moderation von Lebenslauf- und Bewerbungscoach Alexandra von Muralt. (Der Link zu diesem Gespräch führt zu Youtube.)

Resilienzfaktoren

Was sind denn aber nun Faktoren von Resilienz, die von der Forschung genannt werden?

Folgende Punkte gehören laut der wissenschaftlichen Forschung dazu:

  • Sich als selbstwirksam erleben: aktiv etwas tun können bei Herausforderungen, sich Ziele setzen und auch erreichen können

  • sich selbst gut kennen mit seinen Stärken, Schwächen und Potenzialen

  • einen guten Zugang zu den eigenen Gefühlen haben

  • Zuversicht, optimistische Einstellung

  • in ein soziales Netz eingebunden sein

  • einen Sinn im Leben sehen

  • lösungsorientiert sein bei Problemen - das bedeutet auch, aus der Opferrolle auszusteigen und Verantwortung zu übernehmen

Die Forschung geht heute davon aus, dass Resilienz dynamisch und veränderbar ist. Jemand hat nicht einfach die Eigenschaft, resilient zu sein. Resilienz wird als Prozess verstanden. Das heißt, dass man etwas dazu beitragen, dass man selbst etwas verändern kann.

Es gibt etwas, das all diese Faktoren der Resilienz beeinflussen kann, nämlich die menschliche Tendenz, das Negative stärker zu sehen als das Positive.

Unsere Negativitätstendenz

Stell dir vor, du hältst einen Vortrag vor 100 Leuten. Danach bekommst du begeistertes Feedback von 30 Personen, die zugehört haben. Eine Person wendet sich allerdings mit folgenden Worten an dich: "Das war total wirr. Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wovon Sie sprechen?"

Es ist anzunehmen, dass die negative Rückmeldung dir besonders nahegeht und du die positiven Rückmeldungen dabei übersiehst. Das hat einen Grund. Er liegt in der Negativitätstendenz von uns Menschen.

"Klett für das Schlechte, Teflon für das Gute"

Lange Zeit habe ich bei mir selbst erlebt, dass negative Kritik viel mehr an mir hängen geblieben ist und mich in meinen Gedanken über lange Zeit – oft eher Grübeleien – beschäftigt hat als positive Rückmeldungen.

Mir hat sehr geholfen, als ich gehört habe, dass das gar nicht erstaunlich ist. Menschen richten ihre Aufmerksamkeit primär auf das, was eine potentielle Gefahr darstellt. Das bringt uns in Alarmbereitschaft. Wir wollen die Gefahr abwenden.

Das wird evolutionsgeschichtlich heute so erklärt, dass es in der Frühgeschichte der Menschheit wichtig war, uns in erster Linie auf die Gefahren zu konzentrieren.

Für die Menschen in der afrikanischen Steppe war es buchstäblich überlebenswichtig, mit allen Sinnen aufmerksam zu sein, ob sich ein hungriger Löwe nähert.

Und auch der Mensch später in den dichten Wäldern Europas musste aufpassen, nicht einer Bärin zu nahe zu kommen, die ihr Kind mit allen ihr zur Verfügung stehenden Kräften zu schützen bereit war.

Das hatte Auswirkungen auf die Entwicklung unseres Gehirns. Negative Reize werden stärker verarbeitet und bahnen sich stärker im Gehirn. Der Neuropsychologe Dr. Rick Hanson spricht von "Klett für das Schlechte, Teflon für das Gute".

Die negative Kritik auf den Vortrag bleibt wie an einem Klettband haften, wo sie sich nicht so leicht wieder ablösen lässt. Die 30 positiven Feedbacks wirken wie in einer Teflon-Pfanne, die ja gerade daher so beliebt ist, weil beim Kochen nichts anklebt.

Ein gutes Bild, finde ich, den wer hat sich nicht schon mal mit einem Klettverschluss herumgeschlagen, auf dem etwas hartnäckig haften bleibt, und wer schätzt nicht eine Pfanne, wo nicht jedes Mal eine angebrannte Schicht wegzukratzen ist...

In gefährlichen Situationen ist die Aufmerksamkeit auf die Gefahr wichtig

In einer gefährlichen Situation ist es ja äußerst wichtig, die Gefahr zu erkennen und entsprechend reagieren zu können. Wenn mich jemand auf der Straße mit dem Messer bedroht, ist es vorteilhaft, wenn ich das als gefährlich wahrnehme.

Es ist überlebenswichtig, wirkliche Gefahrensituationen als solche zu erkennen und entsprechend zu handeln. Doch für deine Lebensqualität ist es enorm wichtig, eine Balance herzustellen. Es ist entscheidend, auch das in den Blick zu nehmen, was du als positiv empfindest.

Die Fixierung auf das Negative ausbalancieren

Warum ist das so wichtig? Denn sonst läufst du Gefahr, ständig und überall Gefahr zu wittern, und dann lebst du in permanenter Angst. Das versetzt dich in Dauerstress.

  • Das ist anstrengend. Es kostet dich Energie. Wenn sich deine Gedanken ständig um "Probleme" drehen, du permanent in Sorge bist, dir könne etwas passieren, wirst du nicht ausgeglichen und zufrieden sein.

  • Es wird dir schwer fallen, dich dem zu widmen, was dir wirklich wichtig ist und deine Berufung zu gestalten.

  • Es hat auch Auswirkungen auf deine Gesundheit. Du fühlst dich gestresst und das führt auch zu körperlichen Symptomen.

Was in gefahrvollen Ausnahmesituationen eine angemessene, gesunde Reaktion ist, wird zum Dauerausnahmezustand.

Positive Erfahrungen erkennen, in dich aufnehmen und erleben

Bei mir selbst und bei den Menschen, mit denen ich im Coaching arbeite, habe ich erlebt, dass es tatsächlich möglich ist, diese Negativitätstendenz auszugleichen. Doch wie? Dazu gibt es einige Möglichkeiten.

Deine Aufmerksamkeit auf das für dich Positive und Gute lenken

Das geht nicht automatisch. Notwendig dafür ist, die Aufmerksamkeit auf das zu richten, was für dich gut läuft und sich gut für dich anfühlt. In diesem Sinne, das "Positive" und "Gute" in den Blick nehmen und vor allem: innerlich erleben, mit Beteiligung der Sinneswahrnehmung.

Deine Stärken in den Blick nehmen

Dazu gehört auch, dein Augenmerk auf deine Stärken zu richten. Nicht ständig nur im Blick zu haben, was du nicht kannst, vermeintlich nicht kannst, noch nicht gut genug kannst. Und weißt du, ich habe selbst eine starke Tendenz zum Glaubenssatz: "Ich kann nicht genug. Ich bin nicht genug." Davon kann ich ein Lied singen, ich habe sogar ein umfangreiches Repertoire. Ich weiß, wie hartnäckig das sein kann.

Deine eigenen Ressourcen wachsen lassen

Wenn du deine Aufmerksamkeit auf das richtest, was für dich positiv ist, dann stärkst du das, was bereits da ist, und es kann darüber hinaus noch weiter wachsen. Ich nenne das gerne, die eigenen Ressourcen zu stärken, die eigenen Ressourcen wachsen zu lassen.

Aus dem Sämchen wird ein kräftiger Baum. Der Samen wird aufgehen und wachsen, wenn er genährt wird! Denn er will sich zum Himmel strecken und seine Wurzeln in die Erde graben. Hirnphysiologisch gesprochen: Tatsächlich bahnen sich im Gehirn dann neue Wege, es bilden sich neue Neuronenverbindungen.

Durch regelmäßige Praxis reagiere ich heute anders als früher auf "negative" Kommentare (die sowieso viel seltener kommen, als ich das früher befürchtet habe!). Es fühlt sich nicht mehr so bedrohlich an.

Und wenn dennoch etwas in mir angstvoll aufschreit, kann ich das beobachten und mich danach, nachdem sich der Sturm gelegt hat, fragen: "Was war denn da los? Was hat mich denn da so getriggert? Das ist interessant: Darüber will ich mehr lernen." Und mich dem dann speziell zuwenden.

Doch halt: Sehe ich dann alles nur mehr durch eine kitschige rosarote Brille?

Deine Aufmerksamkeit auf das richten, was für dich positiv ist –damit meine ich durchaus nicht das sogenannte “positive Denken”, wo wir alles nur mehr durch eine rosarote Brille sehen dürfen und Gefühle wie Trauer und Angst nicht mehr erlaubt sind.

In uns dürfen sich alle Gefühle zeigen, sie sind nun mal unsere momentane Realität, ob uns das gefällt oder nicht. Die Frage ist nur, ob wir aus den als schwierig empfundenen Momenten ein Drama machen: “Warum passiert mir das? Hätte ich doch anders gehandelt. Ich bin schlecht.” Das fügt dem Schmerz noch das Leiden hinzu.

Resilienz: Übungen

Wie kannst du vorgehen, um deine Resilienz aufzubauen und zu stärken? Ich gebe dir hier ein paar Übungsvorschläge, die sich für mich bewährt haben.

Dankbarkeit pflegen

Eine Möglichkeit, resilienter zu werden, liegt darin, dich darauf zu besinnen, wofür du dankbar bist in deinem Leben.

Es geht hier nicht um riesige Errungenschaften oder erbrachte Leistungen, sondern eher um die kleinen Begebenheiten des Alltags, die so leicht übersehen werden. Die sich aber, werde ich achtsam dafür, auch in schwierigen Situationen finden: eine Person lächelt mich herzlich an, der Berg vor meinem Fenster leuchtet in der Abendsonne, der Schluck Tee wärmt meinen Hals angenehm.

Beim Beispiel des Vortrags von vorhin, bei dem du eine negative Kritik bekommst, könntest du dir die positiven Rückmeldungen besonders hervorheben. Schreibe dir die Aussagen auf ein Blatt Papier, das du dir über den Schreibtisch hängst. Erinnerungshilfen sind wichtig!

Ein Dankbarkeitstagebuch führen

Eine gute Möglichkeit, Dankbarkeit zu pflegen, ist ein Dankbarkeitstagebuch. Es verbindet kreatives Schreiben mit der Praxis der Dankbarkeit.

In meinem Blogartikel “Selbstfürsorge: 3 wirkungsvolle Übungen, wie dir kreatives Schreiben dabei hilft” beschreibe ich die Praxis eines Dankbarkeitstagebuchs.

Positive Erfahrungen aktiv (wieder-)erleben, um sie zu verankern

Damit sich Erfahrungen, die für dich positiv sind, verankern, gilt es, sie aktiv zu erleben: Das heißt, Verstand, Gefühl und Körperwahrnehmung (Spüren) einzubeziehen.

Du kannst das üben:

  • Erinnere dich an eine Situation, die für dich positiv war: schön, leicht, glücklich.

  • Versetze dich hinein, als würde sie jetzt stattfinden. Beziehe so viele Sinneseindrücke wie möglich ein: Bilder, die in dir aufsteigen, Farben, Gerüche, Geräusche, Tastempfindungen, Gefühle und Körperempfindungen.

Dabei bilden sich neue Strukturen im Gehirn, die nun für positive Erfahrungen stehen. Das braucht Zeit und Wiederholung. Mit regelmäßiger Übung trägst du dazu bei, dich sicher und zufrieden zu fühlen und dein Immunsystem zu stärken. Das fördert deine Resilienz. Du spürst die Energie, das umzusetzen, woran dir aus tiefstem Herzen etwas liegt.

Bohnen von einer Hosentasche in die andere wandern lassen

Mein Mann Thomas und ich haben 2012 das “Geschenkte Momente Täschli mit 2 Seiten” entwickelt und genäht. Mittlerweile ruht unsere Produktion, aber vielleicht nehmen wir sie mal wieder auf.

Gehört hatten wir damals von einer Praxis, dass du dir Bohnen in die rechte Hosentasche gibst, und jedes Mal, wenn du auf einen für dich schönen Moment stößt, oder auch einen Moment, für den du dankbar bist, dann gibst du eine der Bohnen in die linke Hosentasche.

Am Abend nimmst du alle Bohnen aus der linken Hosentasche und gehst die Momente nochmals kurz durch. Du wirst dir so bewusst, wie reich dein Tag war.

In Kontakt gehen mit dem Felt Sense

Die Übung, positive Erfahrungen wieder herzuholen und mit allen Sinnen zu erleben, ist verbunden mit dem Felt Sense. Der Felt Sense ist die gespürte und gefühlte Bedeutung einer Situation, eines Themas oder Problems.

Diese Bedeutung sitzt sozusagen in deinem Körper, bevor du noch Worte dafür finden kannst. Du musst nicht “Probleme” haben, um mit diesem inneren Wissen in Beziehung zu treten. Du kannst es auch zu Rate ziehen, um dich mit für dich schönen Erlebnissen zu verbinden, sie ganz und gar auszukosten.

Fragst du dich, was es mit diesem Felt Sense auf sich hat? Hast du den Ausdruck vielleicht schon gehört, kannst aber noch nicht viel damit anfangen? Dann hilft dir mein Blogartikel weiter: “Was ist ein Felt Sense eigentlich?”

Literaturhinweis

Rick Hanson: Das Gehirn eines Buddha. Die angewandte Neurowissenschaft von Glück, Liebe und Weisheit. 2. Aufl. Arbor-Verlag 2010. Interessante Hintergründe und Übungen zum Thema. Daraus stammt auch das Bild mit dem Klett und dem Teflon.

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